Individualpsychologische Beratungspraxis (DGIP)

Renate Freund

 

 

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Miteinander auskommen...

(fast) ohne Schimpfen und Strafen

– wie geht das?

„Eigentlich will ich mich ja gar nicht mit meinen Kindern streiten.“ sagte neulich eine Mutter in einer Elterngruppe, „aber was bleibt mir übrig, wenn die beiden einfach nicht hören?“ Eine andere fügte seufzend hinzu. „Bei mir hilft inzwischen nicht mal mehr die Androhung von Fernsehverbot. Dauernd muss ich schimpfen und Strafen androhen, und trotzdem passiert nicht, was ich will. Was soll ich nur machen?“. Ich glaube, dass diese beiden Aussagen sehr deutlich widerspiegeln, was wir heute in vielen Familien erleben: Im Grunde möchten alle ohne Streit miteinander auskommen. Aber dennoch sind Kämpfe in an der Tagesordnung. Um ehrlich zu sein: Strafen hat es für unsere eigenen Kinder wirklich nicht gegeben, aber ohne Auseinandersetzungen ist es bei uns auch nicht gegangen. Viele haben wir uns allerdings dadurch erspart, dass wir mit unseren Kindern ausgemacht haben, dass sie Entscheidungen selber treffen. Sie wussten dann aber auch, dass sie die Konsequenzen, die sich daraus ergaben, zu tragen hätten.. Dahinter steht die Idee, dass Kinder mehr aus eigenen Erfahrungen lernen (ganz gleich, ob diese positiv oder negativ sind) als über unser „Du sollst...“, „Du darfst nicht...“ oder „Du musst...“. Das nämlich empfinden die Kinder als Druck von oben, den sie mit Gegendruck beantworten, der dann heißt: „Ich will aber...“ oder „Ich mach sowieso, was ich will!“: Es ist klar, dass wir nicht ohne Verbote und Anordnungen auskommen, weil wir  die größere Erfahrung haben und vieles ganz anders übersehen können als unsere Kinder. Aber wenn es möglich ist, sollten wir die Kinder die  Folgen ihres Handelns erfahren lassen..

Was ist damit gemeint?

Lassen Sie es mich an einem Beispiel deutlich machen:

Stefanie ist zum Kindergeburtstag eingeladen. "Bitte keine Sonntagskleidung!" stand auf der Einladung; denn die Geburtstagsgesellschaft möchte auf einen Abenteuerspielplatz und dort am Lagerfeuer Picknick machen. Stefanie besteht aber darauf, ihr neustes Kleid und die Lackschuhe mit den Schnallen anzuziehen. Die Mutter, die die endlose Kleiderdiskussion leid ist, sagt schließlich: "O.k., ich denke, du bist alt genug. Ich habe dir erklärt, warum ihr lieber in Jogginganzügen kommen sollt, aber wenn du unbedingt etwas anderes anziehen möchtest, dann ist das deine Sache."

Doch was geschieht? Bei den Wettspielen laufen Stefanie alle davon, weil sie mit den Schuhschnallen im Gras hängen bleibt und sie sich in ihrem schönen Kleid nicht so ungehindert bewegen kann. Abends, als es merklich kühler wird, fühlen sich alle in ihren Jogginganzügen pudelwohl, aber Stefanie friert.

Was kann das Mädchen aus dieser Situation lernen?

Vermutlich wird es sich beim nächsten Mal angemessener anziehen; denn es erlebt: Ich habe mir selbst den Geburtstag verdorben. Die Mutter hatte ihm ja schließlich die Entscheidung überlassen. Insofern kann Stefanie jetzt auch nur auf sich selber wütend sein, nicht aber auf die Mutter.

Diese wiederum braucht keinen Kommentar abzugeben ( im Sinne von "Siehste, hab ich dir das nicht gesagt!?" oder "Hättest du nur auf mich gehört!"), weil die Sache für sich spricht. Genau das hilft dem Kind, aus der Situation zu lernen. Wenn wir an dieser Stelle dem Kind auch noch zeigen, dass wir es besser gewusst haben, wird es sich klein und dumm fühlen. Weil aber niemand gerne der Unterlegene sein möchte, wird das Kind danach streben, seine Überlegenheit unter Beweis zu stellen. Stefanie wird dann vermutlich strahlend erzählen, wie toll es war und wie warm sie es auch noch am Abend fand, ohne für die Zukunft etwas zu lernen. (Manchmal bedarf es in solchen Situationen dann allerdings nur noch eines geringen Anlasses, einer kleinen Rempelei, eines Hinfallens etwa, um einen großen Tränenstrom hervorzurufen, der weniger damit als mit dem verpatzten Geburtstag zu tun hat. Wir müssen es nur erkennen!) 

Indem wir Kinder durch unsere Kommentare darum bringen, ihre eigenen Erfahrungen zu machen und ihre Schlüsse daraus zu ziehen, helfen wir weder ihnen noch uns. Wenn es schon so vielen Erwachsenen schwer fällt, eigene Fehler einzugestehen und Irrtümer zuzugeben, wie viel mehr werden dann Kinder, die sich ständig als klein und weniger fähig erleben, darum kämpfen, Recht zu haben, also die Überlegeneren zu sein!? Dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn immer neue Machtkämpfe entstehen, und zwar ganz ohne Zusammenhang mit der Situation, in der sie sich so klein gefühlt haben.

Das gilt zum Beispiel auch für Gelegenheiten, bei den wir den Kindern sagen: "Na, siehst du, das hat doch gar nicht wehgetan!“, etwa nach einem Arzt- oder Zahnarztbesuch, nach Impfungen. o. ä. oder "So schlimm war das doch gar nicht, das habe ich dir ja schon vorher gesagt" oder nach dem ersten Kindergartentag, dem ersten Kindergeburtstag ohne Mutter "Na, siehst du, ich wusste doch, dass du es nachher schön finden würdest!". All diese Äußerungen können wir uns deshalb sparen, weil das Kind selber spürt, wie ungerechtfertigt seine Angst war, und für sich für die Zukunft daraus lernen kann, ohne dass wir ihm das Gefühl der Unterlegenheit vermitteln müssen.

Doch zurück zu unserem Beispiel von Stefanie und dem Kindergeburtstag: In diesem Falle sprechen wir von einer natürlichen Folge: Ein Kind trifft eine Entscheidung ( "Ich gehe mit Sonntagskleid und Lackschuhen"), es erlebt unmittelbar deren Konsequenz (Kind kann sich nicht so gut bewegen, es friert) und zieht für kommende Situationen seine Schlüsse daraus. (Wenn um bequeme Kleidung gebeten wird, ist es zweckmäßig, diese auch anzuziehen).

Einen Anlass zu einem Machtkampf mit der Mutter gibt es nicht; denn das Kind sieht, dass es sich selbst in diese Lage gebracht hat. Sollte es dennoch versuchen, die Mutter verantwortlich zu machen - vielleicht weil die Mutter sich bislang auch für alles verantwortlich gefühlt und entsprechend gehandelt hat - braucht die Mutter nur ganz ruhig zu sagen: "Du hast dich allein entschieden" oder aufmunternd, "Beim nächsten Mal kannst du dich ja anders entscheiden!". Wenn Sie diese Sätze geschrieben lesen, sind sie fast schon wieder missverständlich; denn der Ton macht die Musik.

Ein nicht ausgesprochenes "Siehste!", hört das Kind ebenso wie das tatsächlich gesagte! Im Tonfall sollte eher das Verständnis liegen, dass wir alle Fehler machen, aber diese beim nächsten Mal nicht wiederholen müssen. 

Bei dem Kindergeburtstags-Beispiel sprechen wir von einer natürlichen Folge, weil sie sich ergibt, ohne dass von außen durch irgendeine Person etwas getan oder gesagt werden müsste, damit sie eintritt. Das gilt auch für das folgende Beispiel:

Victor war nie besonders ordentlich. Doch seitdem er in der Pubertät ist, gleicht sein Zimmer einer Pumahöhle, in die eine Bombe eingeschlagen hat. Die Eltern erklären ihm, dass sie nicht bereit sind, dieses Zimmer zu betreten. Das hat für den Jungen zur Folge, dass die Mutter auch keine schmutzige Wäsche mehr aus dem Zimmer nimmt, wenn sie waschen will. Entweder bringt Victor die Sachen selbst in den Hauswirtschaftsraum, oder sie bleiben dreckig. Als er eines Tages auf eine Fete möchte und nach langem Suchen seine Lieblingsjeans dreckig unter dem Bett hervorzieht und das favorisierte Sweatshirt total durchgeschwitzt ist, schimpft Victor zwar laut. Aber am nächsten Tag landet die Wäsche kommentarlos vor der Waschmaschine.

Weitere Beispiele wären:

·      Wer ohne Handschuhe im Schnee spielt, hat nach kurzer Zeit Schmerzen in den Fingern.

·      Wer morgens nicht aus dem Bett kommt, kann nicht pünktlich im Kindergarten oder in der Schule sein (hier ist es zweckmäßig, dass die Erzieherinnen oder LehrerInnen wissen, dass das Kind "aus pädagogischen Gründen" zu spät kommt)

·      Wer sein Frühstück oder sein Turnzeug vergisst, muss die daraus entstehenden Unannehmlichkeiten auf sich nehmen! usw. 

·      Wer  seine Sachen herumstreut, kann nichts finden

·      Wer keine Vokabeln lernt, kann im Test keine guten Noten erreichen

Je älter ein Kind ist, desto mehr Situationen gibt es, für die es die Verantwortung übernehmen kann und deren Folgen es tragen muss (z. B. keine Schulaufgaben vergessen, den Ranzen richtig packen, Verabredungen treffen und einhalten, Termine (Sport, Musik, Kieferorthopäde...) wahrzunehmen).

Bei all diesen Dingen muss allerdings klar sein, dass das Kind die Verantwortung hat. Sonst geht es wie in dem folgenden Beispiel:

Hast du auch deine Kindergartentasche?" fragt die Mutter, als sie mit Tim gerade das Haus verlassen will. Dabei greift sie schon zum Tisch, wo die Tasche tatsächlich noch liegt. So geht es nun schon seit Monaten. Endlich überlegt sich die Mutter, dass Tim nun doch alt genug ist, um für seine Sachen selbst zu sorgen; denn schließlich ist er schon bald ein Schulkind. Also erinnert sie ihn nicht mehr. Soll er doch die Folgen seines Handelns spüren! Mittags kommt Tim wütend aus dem Kindergarten "Warum hast du mich heute nicht an mein Frühstück erinnert!?"  fährt er die Mutter an, "alle haben ihre Sachen ausgepackt, und ich hatte gar nichts! Das finde ich gemein!" "Gehst du in den Kindergarten oder ich?" gibt die Mutter zurück, und schon ein steht ein heftiger Wortwechsel.

Es ist uns klar: Tim konnte nicht ahnen, dass die Mutter ihn heute nicht erinnern würde. Schließlich hat sie es anderthalb Jahre lang getan. So war seine Wut berechtigt. Aber es war trotzdem eine vernünftige Entscheidung der Mutter, Tim fortan die Verantwortung für seine Sachen selbst zu überlassen. Nur hätte sie das vorher ihrem Sohn mitteilen müssen! Das Kind kann nämlich nur die Folgen seines Handelns als solche erleben, wenn es weiß, dass es für sein Handeln selbst verantwortlich ist. Übernimmt die Mutter im allgemeinen diese Aufgaben und Angelegenheiten, wird das Kind der Mutter die Schuld geben, wenn etwas vergessen wurde, und nichts daraus lernen. Die Mutter hätte also vorher mit Tim sprechen müssen und ihn z.B. fragen können: "Meinst du nicht, dass du jetzt jeden Tag ganz allein an deine Kindergartentasche denken kannst?" und bei einer positiven Antwort hätte sie deutlich ankündigen können: "Gut, dann ist das von jetzt ab deine Sache.  Dann erinnere ich dich nicht mehr."

Wenn wir solche Vereinbarungen mit unseren Kindern treffen, müssen wir vorher abwägen, ob unser Kind einer solchen Situation (alle packen ihr Frühstück aus, unser Kind hat nichts) schon gewachsen ist, oder ob es die Situation als so unangenehm erlebt, dass es anschließend gar nicht mehr in den Kindergarten will. Dann brächte das Erlebnis nur Entmutigung, nicht aber der Appell, es beim nächsten Mal besser zu machen. Wichtig ist auch hier: Das Kind muss wissen, dass es seine Sache ist, an das Frühstück zu denken!

Eine Zeitvorstellung ist bei Kindergartenkindern noch nicht ausgeprägt. Wöchentlich stattfindende Termine sind für Kinder in dem Alter noch schwer zu erfassen, weil sie häufig die Reihenfolge der Wochentage noch nicht kennen. Wenn wir ihnen dann nicht mitteilen, dass heute Mittwoch ist, können sie z.B. nicht an den Turnbeutel denken.

Gerade die letzte Überlegung macht deutlich, dass wir immer neu darüber nachdenken müssen, welche Entscheidungen unsere Kinder selber treffen können; denn mit jedem Dazulernen wird sich der Rahmen verändern. Wichtig ist es nun, dass wir den Kindern auch sagen, an welchen Stellen sie allein entscheiden dürfen (und dafür dann auch die Konsequenzen zu tragen haben). Sonst geht es uns wie in dem Beispiel von Tim.

Nun gibt es aber Situationen, die keine für das Kind unmittelbar erkennbare Folgen haben. Dazu ein Beispiel:

Seit Tagen regnet es. Die Kinder wissen schon gar nicht mehr, was sie spielen sollen. Da schlägt die Mutter vor: "Sucht doch ein Spiel aus, das wir zusammen spielen können. Ich mach´ auch mit."  Begeistert laufen die Kinder in ihr Zimmer. Nun dauert es allerdings nicht lange, bis die Mutter einen heftigen Wortwechsel hört und alles mögliche Gepolter. Die Mutter will sich aus dem Streit heraushalten und wartet ab. Schließlich aber wird ihr der Lärm aus dem Kinderzimmer zuviel (in diesem Falle weiß sie ja auch, dass die Kinder sich nicht balgen, um sie auf den Plan zu rufen. Schließlich hatte sie ja gerade ihre Bereitschaft erklärt, mit den beiden zu spielen). Als sie nach oben kommt, sieht sie sämtliche Spiele der Kinder auf dem Fußboden zerstreut, und die beiden Jungen wälzen sich ineinander verkrallt auf dem Teppich. "Halt" ruft sie, "ihr macht ja alles kaputt!" und will gerade lospoltern, dass die Kinder umgehend alles wieder in Ordnung bringen sollen. Aber dann besinnt sie sich.

Was kann die Mutter in dieser Situation tun? Eine natürliche Folge hat das Verhalten der Kinder schon: Wer alle Spiele durcheinander wirft, kann damit nicht spielen, er hat nur Chaos im Zimmer. Doch das bringt uns noch nicht viel weiter. Deshalb muss die Mutter eine logische Folge eintreten lassen. Sie sagt also:

"Schade, nun können wir nicht spielen. Jetzt müssen wir erst das Zimmer wieder in Ordnung bringen."

Eine Diskussion, wer angefangen hat oder warum die Kinder soviel Unordnung gemacht haben, ist jetzt genauso müßig wie zu schimpfen oder Strafen zu verhängen.

"Kommt, je eher wir damit anfangen, desto schneller sind wir fertig!"

Aus der ruhigen Entschlossenheit spüren die Kinder, dass es nutzlos ist, jetzt in irgendwelche Kämpfe einzusteigen. Auch als nachher keine Zeit mehr zum Spielen ist, weil die Mutter anderes zu tun hat, wird das akzeptiert, weil die Brüder erkennen müssen, dass sie sich dies selber zuzuschreiben haben. Beim nächsten Mal werden sie sich vielleicht eher auf ein Spiel einigen.

Bei älteren Kindern kann man sogar gut die logische Folge für eine Handlung vom Kind selbst bestimmen lassen, etwa durch die Frage: „Und wie willst du das wieder in Ordnung bringen?“

Dazu ein Beispiel:

Pauline war zu einer Fete eingeladen und hat sich dafür heimlich die neue Bluse ihrer Mutter ausgeliehen. Unglücklicherweise schüttet ihr jemand eine ganze Ladung Ketchup darüber.

Sicher hat die Mutter nun allen Grund, ärgerlich zu sein. Aber durch Schimpfen und Strafen  wird die Bluse auch nicht wieder sauber. Und ich denke, das ist es, was wir uns immer wieder fragen müssen: Was erreiche ich jetzt damit, wenn ich lostobe? O.k., manchmal macht es einem selber Luft. Man ist so wütend, dass man es herauslassen muss. Das finde ich in Ordnung; denn sonst kann es leicht passieren, dass wir an der falschen Stelle explodieren. Wichtig finde ich jetzt allerdings, dass wir bei der Sache bleiben, die gerade passiert ist („Ich bin wütend, weil du meine neue Bluse angezogen hast ohne zu fragen“) und nicht bei Adam und Eva anfangen mit den Vorwürfen (Letzte Woche hast du auch schon....., und weißt du noch, als ich den Blazer neu hatte, und überhaupt: Wenn du dein Zimmer aufgeräumt hättest, hättest du auch deine eigenen Sachen gefunden...“). Wenn wir unser Kind mit Vorwürfen überhäufen, fühlt es sich schnell ungerecht behandelt entweder weil die Geschwister ebensoviel angerichtet haben und nicht getadelt werden oder weil nun so einseitig nur die Untaten aufgezählt werden Beides fordert zu Widerspruch heraus und kann schnell in einer bösen Auseinandersetzung enden mit der Folge, dass das Kind nichts aus der Angelegenheit lernt. (Mama meckert ja sowieso. Dann kann ich auch ihre Sachen nehmen und den Ärger hinterher einstecken)

Unsere Verärgerung im konkreten Fall aber kann ein Kind nachvollziehen. Wenn die Beziehung in Ordnung ist, möchte das Kind dann von sich aus die Dinge wieder in Ordnung bringen. In unserem Beispiel könnte das heißen, dass Pauline entweder die Bluse wäscht und bügelt oder sie in die Reinigung bringt und diese von ihrem Taschengeld bezahlt.

An den Beispielen vom Streit im Spielzimmer und der Bluse sieht man deutlich, dass die Folgen für das Handeln nicht automatisch eintreten wie bei der Hand auf der , sondern sie müssen von uns herbeigeführt werden. In solchen Situationen sprechen wir von logische Folgen.

 Beispiele dafür wären:

·      Wenn ein Kind zu lange trödelt, dann tut es uns leid, aber zum Vorlesen, gemeinsamen Spielen o.ä. ist dann eben keine Zeit mehr. 

·      Wenn man in den Pfützen herumpatscht, bis die Gummistiefel voll Wasser schwappen, kann man bei dem Wetter so lange nicht draußen spielen, bis die Stiefel getrocknet sind.

·      Wenn man beim Einkaufen, Autofahren o. ä. herumtobt,  kann man leider beim nächsten Mal nicht mit.

Gerade an dem letzten Beispiel wird deutlich, wie nah die logische Folge der Strafe ist. Tatsächlich würde das Kind das Zuhausebleiben als Strafe auffassen, wenn wir ihm gesagt hätten "Weil du nicht lieb warst, musst du zuhause bleiben!" Dann würde es sicher einen Kampf mit der Mutter anfangen wollen und seinen ganzen Unwillen gegen sie richten. Sagen wir aber: "Schade, dass du nicht mitkannst, weil du noch nicht gelernt hast, wie man sich beim Einkaufen  (im Auto...) benimmt", wird das Kind auf sich selber, nicht aber auf die Mutter ärgerlich sein.

Es kommt also ganz wesentlich auf unsere Worte an, wenn wir erreichen wollen, dass das Kind logische Folgen seines Handelns erlebt. Jedes "Siehst du!" ist ebenso fehl am Platz wie die Kausalkette "weil du....musst du"; denn das "Du musst" beinhalten, dass jemand Befehle erteilt, und dagegen gilt es dann wieder zu kämpfen, ohne aus der Situation zu lernen. Ein "Schade", andererseits, stellt uns mit unseren Kindern auf eine Stufe, wir können in gemeinsamer Blickrichtung die Situation betrachten, und das Kind wird Ärger höchstens über die Situation und auf sich selbst spüren, nicht aber gegen uns. Hier noch eine Warnung: Wenn Sie Ihr Kind gar nicht zuhause lassen können, weil dort niemand ist, der auf es aufpasst, sollten Sie dies auch nicht in Aussicht stellen! Kinder merken schnell, ob wir es ernst meinen, und jede Aussage verliert ihren Wert, wenn sie immer wieder angekündigt, aber nie wahr gemacht wird!

In meinen Gesprächsgruppen erlebe ich von Zeit zu Zeit verzweifelte Eltern, die mir sagen, dass bei ihrem Kind alles nichts nützt, ob sie nun verständnisvoll und in Güte mit ihm reden und Maßnahmen erklären, ob sie schimpfen oder schreien, Strafen verhängen oder gar handgreiflich werden. Das Kind macht, was es will. Dann sage ich nur ein Stichwort, das Sie aus meinem ersten Vortrag in dieser Reihe kennen : MACHTKAMPF! Das Kind möchte um jeden Preis Sieger bleiben und nimmt dafür alle Ihre Handlungsweisen in Kauf. In dieser Situation wird es weder aus natürlichen noch aus logischen Folgen etwas lernen Es will nur Sieger sein, koste es, was es wolle. Eine solche Situation können Sie leicht erkennen, wenn Sie auf ihr eigenes Gefühl achten. Sie spüren nämlich Ihre Ohnmacht, die Sie verzweifelt und wütend macht. Das ist aber auch genau die Stimmung, in der sich Ihr Sohn oder Ihre Tochter befindet: klein, machtlos, vielleicht unbeachtet, weniger geliebt – so fühlt sich Ihr Kind, was nicht heißen muss, dass es objektiv so ist.

Sobald Sie das erkannt haben, ist schon der erste Schritt zu einer Änderung getan. Wenn Ihnen dann noch der Satz wieder in den Ohren klingt: „Wer nacht Macht strebt, sollte sie auch bekommen (allerdings an der richtigen Stelle)“, ist schon viel gewonnen. Gucken Sie nach, wo Sie Ihrem Kind mehr Macht geben können, z. B. dass es sich das nächste Mittagessen wünschen darf, dass es länger aufbleiben kann als das jüngere Geschwisterkind, dass es das Vorlesebuch aussucht, (mehr) Taschengeld bekommt, über das es selbst verfügen kann, allein mit dem Bus und der Bahn in die Stadt fahren darf... Damit eine Verhaltensänderung bei dem Kind eintritt, ist es notwendig, dass ihm der Machtzuwachs auch bewusst wird.

In der konkreten Situation hilft Ihnen diese Erkenntnis zunächst mal nicht, weil sie ja jetzt handeln müssen und nicht eine entspannte Situation abwarten können. Deshalb könnte der erste Schritt so aussehen.

  • ich sagen meinem Kind, dass ich nicht mit ihm kämpfen möchte
  • ich gehe aus dem Zimmer oder schicke das Kind hinaus
  • ich nehme mein Kind auf den Arm, wenn es wütend wird und halte es so lange, bis es sich beruhigt hat
  • ich sage meinem (älteren) Kind: „Jetzt sind wir beide wütend. Dan kann man nichts miteinander besprechen. Lass uns später darüber reden“
  • ich überlege mir, was ich tun kann, statt zu reden

 Vielleicht spielen aber auch Probleme eine Rolle, mit denen das Kind nicht fertig wird. Es gibt den klugen Satz „Wer Probleme macht, der hat auch Probleme“ Diese können nun von ganz unterschiedlicher Art sein: der Verlust des sicheren Platzes in der Familie durch die Ankunft eines Geschwisterchens, Streit in Kindergarten oder Schule, eine ungerechte Behandlung durch einen Lehrer, der Wegzug eines Freundes / einer Freundin. Da hilft dann nur das einfühlsame Gespräch. Bei kleinen Kinder habe ich gern eine Handpuppe zu Hilfe genommen, etwa den Hund mit den Schlappohren, den ich einem meiner Söhne hingehalten  und gefragt habe: „Kannst du mir vielleicht sagen, warum der Hund so traurig (oder wütend) ist?“ Oft kommen dann die eigenen Nöte der Kinder zutage, für die man dann gemeinsam Lösungsmöglichkeiten suchen kann.

Ich hoffe, es ist deutlich geworden: Nicht in der Konfliktsituation sollen wir dem Kind die verstärkte Beachtung schenken oder ihm mehr Macht geben, sondern gerade in den Zeiten, in denen nicht miteinander gekämpft wird. Erst wenn wir nicht mehr in einem permanenten Machtkampf miteinander stehen, kann das Kind aus den Folgen seines Handelns lernen.

 Noch ein paar Anmerkungen:

Wenn unsere Kinder noch nicht so weit sind, dass sie das eigene Handeln reflektieren können, nervt es uns selber, wie oft wir "Nein!" sagen (oder sagen müssen). Hier gilt es dann zu fragen, ob wir das Kind die unmittelbare, natürliche Folge seines Handelns spüren lassen können, oder ob wir es dann Verletzungen und Gefahren aussetzen. Bei einer heißen Herdplatte würde ich selbstverständlich auch nicht warten, bis mein Kind mit der ganzen Hand daraufgepatscht hat. Aber muss ich "Nein" sagen aus Angst um einen Teller, der herunterfallen könnte, aus Furcht vor Beschädigungen von Möbeln, Bodenvasen und Musikanlagen? Ist es da nicht sinnvoller, diese Dinge entweder abzuschreiben oder wegzustellen? Wenn das gute Geschirr für einige Zeit auf den Boden wandert und die Räume etwas schlichter ausgestattet sind, wird unser Leben zuweilen tatsächlich entspannter!

In die unteren Küchenschränke gehören auf keinen Fall Esswaren, auch wenn es für Ihre Kinder sicher ein Fest wäre, Mehltüten platzen zu lassen und alles Mögliche durcheinander zu mengen. Es sollten dort auch keine Putzmittel (Vergiftungsgefahr, wenn die Kinder sie trinken!!!) sowie elektrische Geräte wie Mixer, Bügeleisen o.ä. ihren Platz haben, sondern Töpfe, Kochlöffel, Siebe, Plastikschüssel und ähnliches. Wenn Ihr Kind entdeckt hat, wie herrlich man damit spielen kann, macht das möglicherweise viele Ermahnungen überflüssig und gibt Ihnen die Chance, dass vielleicht die anderen Gegenstände in Ruhe gelassen werden.

Manchmal kann man es nicht vermeiden, "gefährliche" Dinge in der Wohnung stehen zu haben. Dazu ein Beispiel:

Bis unser ältester Sohn fast zwei Jahre alt war, lebten wir in einer Zweizimmerwohnung. Im Wohnzimmer hatte mein Mann (damals gerade frisch gebackener Mathe- und Physiklehrer) seinen Schreibtisch, und seine größte Sorge war, dass Christopher sich einmal an den Klassenarbeiten oder ähnlichen wichtigen Unterlagen vergreifen würde. Unser "Nein" muss wohl so überzeugend gewesen sein, dass er sich bald selber vor den Schreibtisch stellte und "Nein" sagte, aber nie etwas anrührte. Ganz anders bei der Stereoanlage. Hier hatten wir anfangs mit Interesse beobachtet, wie unser Sohn experimentierte, Knöpfe drückte, durch Wiederholung dahinter kam, dass er damit etwas bewirkte (z.B. laute Musik oder fremde Stimmen erzeugte oder abstellte). Aber als wir merkten, dass die Sensoren litten und wir Christopher das Spielen an der Anlage verbieten wollten, sagte er zwar "Nein, nein!", aber probierte munter weiter - bis die Sensoren endgültig kaputt waren...

Was macht dieses Beispiel deutlich? Dasselbe Kind, zwei Verbote, eines wird befolgt, das andere ignoriert. Vielleicht war der Reiz, der von der Stereoanlage ausging, einfach größer. Aber ich glaube nicht, dass das alles war. Unsere Kinder "hören" viel mehr als unsere Worte ausdrücken. Ich denke, das Nein an Vater Schreibtisch war so klar und unmissverständlich (da schwang die Furcht um die Hefte der Schüler und Beschädigung wichtiger Unterlagen mit) im Gegensatz zum eher halbherzigen Nein bei der Musikanlage, das Christopher auch prompt nicht befolgte.. (Nachdem wir umgezogen waren, verschwand sie übrigens im Schrank, so dass sich keines der anderen Kinder daran vergreifen konnten).

Als unsere Enkeltochter gerade laufen konnte, erlebte ich noch einmal diese Phase des Entdeckenwollens auf der einen und des Schützenwollens auf der anderen Seite. Die Decke vom Couchtisch im Wohnzimmer wurde wieder entfernt, die Kaffeetassen standen in der Mitte zusammengeschoben, damit Larissa nichts herunterziehen konnte, der schmiedeeiserne Leuchter wurde aus dem Raum verbannt, ebenso die großen Topfpflanzen (deren Erde so verlockend war). Das ermöglichte uns, auf viele Verbote und Ermahnungen verzichten zu können, was das Leben miteinander wirklich leichter macht!

Ich fasse zusammen:

Wir können das Familienklima entspannen, indem wir uns sehr genau überlegen, wann wir Forderungen oder Verbote aussprechen müssen und wann unsere Kinder eigene Entscheidungen treffen können. Wenn ein Kind die Konsequenz seines Handelns oder Verweigerns erlebt, wird es das als natürliche Folge akzeptieren, vorausgesetzt, ihm war klar, dass es die Verantwortung für seine Entscheidung hatte. Dann wird es sich beim nächsten Mal anders verhalten, weil es spürt, dass es sich die Konsequenz selber zuzuschreiben hat.

Logische Folgen treten nicht automatisch ein (wie die natürlichen Folgen). Den Zusammenhang mit dem Verhalten des Kindes müssen wir erst herstellen. Wichtig ist hierbei der Ton ("Schade"), sonst erleben die Kinder die Folgen als Bestrafung.