Individualpsychologische Beratungspraxis (DGIP)

Renate Freund

 

 

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Die Sache mit dem schlechten Gewissen

Saschas Mutter ist allein erziehend. Sie arbeitet jeden Tag bis 15.00 Uhr als Büroangestellte, während der Junge zuerst die Schule und später einen Hort besucht. Weil sie dann auch noch nachmittags und an den Wochenende häufig mit Hausarbeit beschäftigt ist, hat sie oft ein schlechtes Gewissen ihrem Sohn gegenüber. Wie wichtig ihr Sascha ist, möchte sie ihm besonders dadurch zeigen, dass sie viel für ihn tut. So ist es dem Jungen selbstverständlich geworden, dass seine Mutter ihn hierhin und dorthin kutschiert, dass sie ihm die Spielsachen aufräumt, die Schuhe putzt, den Ranzen trägt, kurz gesagt: den Dienstboten für den Sohn spielt. Außerdem geschieht in der Regel, was Sascha möchte. Er bestimmt, was gegessen wird, ob er nach dem Hort erst auf den Spielplatz geht, was und wie viel er fern sieht usw..

Obwohl es gut verständlich ist, dass Saschas Mutter einen Ausgleich dafür schaffen möchte, dass sie nicht so viel Zeit für ihn hat, halte ich ihre Vorgehensweise für sehr bedenklich, und zwar aus zwei Gründen:. Weil sie dem Sohn alles abnimmt, kann er viele eigene Erfahrungen nicht machen. Er erlebt nicht, welche Genugtuung es bereiten kann, wenn man sich tüchtig angestrengt hat (um z. B. das Zimmer aufzuräumen oder den Tisch zu decken) und dann den Erfolg sieht. Das führt dazu, dass Sascha sich vermutlich selbst nicht viel zutraut. Zum anderen hat Sascha bislang sein Gefühl von Wichtigkeit und Macht daraus gezogen, dass er seine Mutter beherrschen konnte. Wenn er einmal seinen Willen doch nicht durchsetzen kann, kommt er sich minderwertig und ungeliebt vor.

Diese Einstellung finden wir nicht nur gegenüber allein erziehenden Elternteilen, sondern grundsätzlich, wenn Eltern ihre Kinder zu sehr bedienen und sich von ihnen kommandieren lassen. Dann gewinnen die Kinder den Eindruck, nur geliebt zu werden, wenn die Eltern sich von ihnen in den Dienst stellen lassen. Sie fordern immer neue Dienstleistungen, weil sie diese als Liebesbeweise brauchen. Aus einer solchen Verstrickung wieder herauszukommen, ist sehr schwer, weil das Kind sich zunächst weigern wird, seine Haltung aufzugeben, gibt sie ihm doch die Sicherheit, von den Eltern geliebt zu sein..

Wichtig ist nicht die Anzahl der Stunden, die Eltern(teile) Zeit für ihr Kind haben, sondern die Weise, wie die Zeit gefüllt wird. Wenn Sie wenigstens eine Stunde mit voller Aufmerksamkeit bei Ihrem Kind sind, hat das einen größeren Wert als wenn Sie den ganzen Tag zuhause sind, aber nie die Hausarbeit ruhen lassen, um einmal wirklich zuzuhören.

Eine Berufstätigkeit der Mutter birgt insofern eine große Chance, als das Kind ein Gefühl von Wichtigkeit und Partnerschaft vermittelt bekommt.. Es sieht ein, dass es bestimmte Dinge allein bewältigen muss und kann stolz sein, damit klar zu kommen, sei es den Schlüssel nicht zu verlieren, eine Weile allein zu Hause zu sein, einmal ein Essen aufzuwärmen usw.. Einer berufstätigen Mutter helfen die Kinder in der Regel viel bereitwilliger, weil sie die Notwendigkeit eher einsehen und spüren, dass sie gebraucht werden.

Also, liebe berufstätige Mütter, vergessen Sie nicht, dass Kinder auch stolz auf die Leistungen ihrer Eltern sind! Werfen Sie Ihr schlechtes Gewissen über Bord! Freuen Sie sich an einem abwechselungsreichen Alltag im Beruf und zuhause. Genießen Sie die Zeit mit ihrem Kind oder Ihren Kindern (auch wenn – und das ist mir natürlich auch klar – der Tag manchmal mehr als 24 Stunden haben müsste)!