Individualpsychologische Beratungspraxis (DGIP)

Renate Freund

 

 

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Der Familienrat

Eine gute Möglichkeit, partnerschaftliches Miteinander in der Familie zu üben, bietet der Familienrat nach Rudolf Dreikurs.

Er ist eine regelmäßig stattfindende Zusammenkunft aller Familienmitglieder, bei der Probleme, Vorhaben und Aufgaben der Familie besprochen werden können. Das Wichtige dabei ist, dass alle Familienmitglieder gleichwertig miteinander diskutieren, jeder gleiches Rederecht hat und jeder den anderen anhört. Wer zu Wort kommen möchte, möge sich melden und wird vom Versammlungsleiter aufgerufen (selbstverständlich auch die Eltern!!!). Beschlüsse dürfen nur einstimmig gefasst werden, nicht etwa mehrheitlich (sonst könnten in allen Familien mit mehr als zwei Kindern diese alles gegen ihre Eltern durchsetzen, wenn sie nur untereinander einig wären, z. B. jede Taschengelderhöhung). Findet man keine Mehrheit für einen Beschluss, so wird für den nächsten Familienrat das Thema noch einmal auf die Tagesordnung gesetzt, oder man versucht, eine von allen akzeptierte, aber nicht ganz so weit reichende Entscheidung zu treffen.

Schauen wir uns einmal einen Familienrat an:

Bei jeder Sitzung gibt es einen "Konferenzleiter". Heute ist es der jüngste Sohn der Familie, der die Zusammenkunft eröffnet .

Konferenzleiter: „Hat jemand ein Thema?"

Sein nächst älterer Bruder: "Ja, ich. Du, Toby, (gemeint ist der älteste der drei Jungen) machst immer Streit, wenn ich mit meinem Freund spiele"

Großer Bruder: "Du spinnst ja, du Heini, du machst Streit, wenn ich Besuch habe, aber nicht umgekehrt!"

Der Angesprochen will antworten, doch der Konferenzleiter bremst ihn.

Konferenzleiter: „Halt, du bist noch gar nicht dran! Außerdem weißt du, dass Beleidigungen im Familienrat nicht erlaubt sind! Papi hat sich zuerst gemeldet."

Vater: „Kannst du mal ein Beispiel sagen. Was heißt das, Toby macht immer Streit."

Konferenzleiter: „Marc, du kannst antworten, weil Papi dich direkt gefragt hat."

Marc: „Also, wenn wir gerade Playmobil aufgebaut haben, kommt er rein und wirft alle Cowboys um und sagt: „Achtung, ein Tornado!"

Konferenzleiter: „Toby, du bist dran."

Toby: „O.k. Das war gestern. Aber was machst du denn in meinem Zimmer? Und außerdem, das war doch witzig."

Konferenzleiter: „Mami"

Mutter: „Ich weiß nicht, ob Marc das lustig fand. Doch mal abgesehen davon. Seht ihr eine Lösung, wie man es schaffen kann, dass sich diese Situationen nicht wiederholen?"

Marc:               „Ja. Toby soll anklopfen, wenn er in mein Zimmer will!"

Toby:               „Du dann aber auch bei mir!"

Konferenzleiter: „He, ich hab’ euch nicht aufgerufen, aber o.k., wäre das eine Lösung?"

Toby:               „Wir können es ja mal einen Monat so ausprobieren."

Vater (nachdem er aufgerufen wurde) „Meinst du, dass es dein Problem löst, Marc? „Was hältst du davon?"

Marc: „Mal sehen, es ist ja nicht nur in meinem Zimmer sondern auch draußen manchmal!"

Mutter: „Wollt ihr das nun auspro..."

Konferenzleiter: „Halt, Mami, du bist noch gar nicht dran. Marc hat sich vor dir gemeldet!"

Marc:               „Ich finde, Fritz ist immer viel zu schnell beleidigt."

Konferenzleiter: „Das gehört nicht zum Thema! Mami ist dran."

Mutter: „Wollen wir nun beschließen, dass jeder bei dem anderen anklopft, wenn er in dessen Zimmer möchte? Das hat aber nur Sinn, wenn dann auch wirklich keiner ohne Erlaubnis reingeht."

Marc: „O.K. Toby hat ja schon ja gesagt. Ich finde, wir können es ja mal probieren."

Vater: „Vielleicht könntet ihr auch grundsätzlich probieren, euch gegenseitig weniger zu ärgern. Vielleicht denkt ihr, eure Freunde finden euch dann besonders toll. Das glaub´ ich allerdings nicht."

Konferenzleiter: „Können wir das Thema dann abschließen, oder möchte noch einer was dazu sagen? (keiner meldet sich) Gut, wer hat ein neues Thema?"

u.s.w., bis alle Themen besprochen sind oder die für den Familienrat angesetzte Zeit abgelaufen ist.

Rudolf Dreikurs empfiehlt, dass bei jedem Familienrat ein Protokoll geführt wird. Das fand ich zunächst überflüssig, aber es dauerte nicht lange, bis wir in unserer Familie das Konferenzheft häufig herangezogen, wenn sich keiner mehr erinnern konnte, wie welches Problem gelöst werden oder wer welche Aufgabe übernehmen sollte. Beim Protokollschreiben wechselten wir allerdings nicht ab wie bei der Konferenzleitung; denn für Kinder ist es schwer, Gesagtes zusammenzufassen und Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Ich habe aber mitgeteilt, was ich aufschrieb, damit jeder gegebenenfalls Einspruch erheben konnte.

Im Familienrat werden Themen besprochen wie

·      Arbeiten in Haus und Garten, die verteilt werden müssen

·      Taschengeld,

·      Ferienplanungen, Unternehmungen am Wochenende

·      bevorstehende Feste

·      Streit unter den Geschwistern

·      Fernsehen(wer, wann, was, wie lange...)

·      Sorge um ein Haustier

·      notwendige Einkäufe von Kleidung, Schulsachen...

·      Schlafenszeit

·      Probleme, morgens aus dem Haus zu kommen

·      Unordnung im Haus, in den Kinderzimmern

Dies sind einige Beispiele. Jede Familie wird entsprechend dem Alter des Kindes oder der Kinder verschiedene Punkte haben. Wichtig ist es, am Anfang nur einen oder zwei Punkte zu besprechen, um den Kindern nicht die Lust daran zu nehmen ( am besten auch Anliegen der Kinder und nicht gerade die Verteilung von Aufgaben in Haus und Garten). Dann sind die Kinder motivierter, beim nächsten Mal wieder mitzumachen.

Den Familienrat kann man schon mit einem Kind abhalten; ihm wird die geforderte Gleichwertigkeit mit den Eltern gut tun. Voraussetzung ist, dass ein Kind sich verbal ausdrücken kann. Die „Spielregeln" - letztlich keine anderen als in jedem Parlament - lernen die Kinder durch Einüben sehr schnell, vorausgesetzt, die Eltern halten sich wirklich daran und fallen nicht aus ihrer Rolle (gleichwertiger Partner), indem sie Ermahnungen aussprechen („Nun sitz doch mal still! Lass das Spielen mit der Tischdecke! Hörst du überhaupt zu?" usw.) oder ungefragt ihre Statements abgeben. Der Familienrat kann nur funktionieren, wenn keiner in irgendeiner Form Macht ausübt, sondern jeder Partner von jedem ist. Wenn Sie merken, dass Ihr Kind im Familienrat mit Ihnen in Machtkämpfe einsteigen will und Sie zu provozieren versucht (z. B. immer dazwischenredet oder statt mitzumachen in einem Buch blättert) können Sie entweder die Störungen solange nicht beachten, bis sie dem Kind langweilig werden (der Konferenzleiter darf allerdings ermahnen) oder das Ende des Familienrates beantragen.

Auch für Eltern ist der Familienrat mit seinen Regel zunächst sehr ungewohnt und nicht ganz einfach zu handhaben. Aber wenn Sie wirklich willens sind, sich auf eine demokratische Diskussionsebene mit den Kindern zu begeben, können Sie es lernen, vielleicht indem jeder Ehepartner den anderen auf Regelverstöße hinweist; denn auch die Konferenzleiter bemerken diese erst nach einer gewissen Einübungszeit. Hilfreich ist auch eine Tonband- oder Videoaufnahme, bei der Sie selbst einmal überprüfen können: Rede ich nur, wenn ich dran bin? Lasse ich die anderen ausreden? Bringe ich immer gleich Lösungsvorschläge, bevor den Kindern etwas eingefallen ist? Ermahne ich jemanden zwischendurch, wenn ich nicht Konferenzleiter bin? usw.

Ein fester Termin in der Woche ist sehr hilfreich, weil man den Familienrat sonst vergisst und nur einberuft, wenn es "brennt", was wenig sinnvoll ist. - In unserer Familie war der sonntäglich Familienrat für mehr als 10 Jahre eine Selbstverständlichkeit, und wir konnten sehen, wie viel Ärger und Schwierigkeiten, die andere Eltern mit ihren pubertierenden Kindern haben, uns dadurch erspart bleiben. Es lohnt sich wirklich, bald damit anzufangen!