Individualpsychologische Beratungspraxis (DGIP) Renate Freund
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Laute
Musik und Chaos im Zimmer Häufig ist
die Atmosphäre in Elternhäusern mit heranwachsenden Kindern von
lautstarken Auseinandersetzungen und Machtkämpfen geprägt oder es
herrscht absolute Funkstille, d. h. Eltern und Kinder reden so gut wie
nicht mehr miteinander. Zwei der häufigsten Streitpunkte sollen hier
besprochen erden. Lassen Sie
mich mit einem Beispiel
beginnen: Sven
ist in sein Zimmer gegangen, um Hausaufgaben zu machen, hat er jedenfalls
gesagt. Nach kurzer Zeit tönt von oben so laut die Musik, dass es noch
alle Nachbarn hören müssen. Als die Mutter nach oben geht und wütend
die Tür aufreißt; denn sie hat ja schon so oft gesagt, dass die Musik
nicht so laut sein darf, bietet sich ihr folgendes Bild: Sven liegt auf
seinem Bett, um ihn herum sind lauter Bravohefte und Zeitungsausschnitte
verstreut, dazwischen seine schmutzigen Socken und Unterhosen sowie ein
frisch gebügeltes Hemd. Sein Rucksack mit den Schulsachen ist noch nicht
einmal ausgepackt. In solchen
Situationen sind schon Musikanlagen aus dem Fenster geflogen oder körperliche
Züchtigungen erfolgt, die keine Mutter und kein Vater ursprünglich
gewollt haben. Aber dieser für unsere Ohren eher schmerzhafte Lärm , den
die Kinder als Musik genießen, wie der Anblick der Wüstenei in dem
Zimmer lösen in den Eltern soviel Wut und Hilflosigkeitsgefühle
aus, dass sie so spontan und emotional reagieren. Sie geraten in
Sorge, weil sie wissen, dass in der Schule gerade in diesen Jahren noch
viel Grundlegendes gelernt werden muss ( viele Schüler fangen in Klasse 7
eine zweite Fremdsprache an ). Wenn die Kinder dann nichts tun, fürchten
sie (zu Recht), dass Lücken entstehen, die man später nur schwer
aufholen kann. Das Chaos im Zimmer war auch schon vielfach Thema von
Auseinandersetzungen, und es ändert sich nicht. Die Mutter ist zudem noch
besonders sauer, weil ihre Arbeit ( das frisch gebügelte Hemd ) nicht
geachtet wird. Man kann also den Zorn und die Reaktion gut verstehen - nur
ändern wird sich dadurch nichts. Wie aber könnte man angemessener und vielleicht auch mit mehr Erfolg mit der Situation umgehen? Zunächst,
denke ich, müssen wir an uns selber arbeiten. Gewöhnen Sie sich an,
immer erst einmal dreimal tief durchzuatmen, bevor Sie Ihrem Ärger Luft
machen! Wenn Sie in scharfem Ton beginnen, wird Ihr Kind nicht anders
antworten, und schon sind Sie in einem dicken Streit. Dann aber lohnt es
sich nicht mehr, mit Argumenten zu kommen, weil Sohn oder Tochter dafür
gar nicht aufnahmebereit ist. Versuchen Sie lieber für einen kurzen
Moment die Situation mit den Augen Ihres Kindes zu sehen! Musik muss nach
Ansicht der meisten Jugendlichen mit einer bestimmten Phonzahl gehört
werden. Sie finden es einfach schön und merken nicht, dass sie andere
damit nerven. Wenn ich mir das klarmache, kann ich in einem ganz anderem
Ton um die Drosselung der Lautstärke bitten; denn dabei bleibe ich: jeder
im Haus muss das Recht auf Ruhe oder den Genuss seiner Musik haben, ohne von einem Familienmitglied so beschallt zu
werden, dass man nichts anderes mehr wahrnehmen kann. In dieser Überlegung
wird das Prinzip deutlich, auf dem das Zusammenleben von Eltern und
Kindern basieren soll, nämlich auf einer
gleichwertigen Partnerschaft. Jeder in der Familie hat Rechte, und die
Grenzen seiner Möglichkeiten liegen dort, wo er die Rechte des anderen zu
verletzen droht. Nun sieht und merkt man diese Grenzen häufig selber
nicht (Beispiel: der Jugendlich empfindet seine Musik nicht als zu laut),
so dass man darüber reden muss. Hier liegt ein wesentlicher Punkt. Viele
Eltern machen diesen partnerschaftlichen Ansatz dadurch zunichte, dass sie
in autoritärem Ton Ruhe fordern, ihr Kind wohl möglich noch beschimpfen
(Vorwürfe wie „Du bist ein rücksichtsloser Egoist!“, „Du machst
mich ganz krank mit deinem Lärm“ oder „Du bist wirklich nicht zum
Aushalten!“ sind in solchen Situationen nicht selten). Wichtig wäre
aber gerade der angemessene Ton, den wir ja auch von unseren Kindern
erwarten (z. B. „Bitte stell´ die Musik leiser. Ich kann mich dabei
nicht auf meine Arbeit konzentrieren“) und die Unterscheidung von Tat
und Täter, wie Alfred Adler das genannt hat. Nicht
das Kind ist nicht zum aushalten, sondern
seine Musik! In dem konkreten Fall wäre es vielleicht eine Lösung,
wenn die Eltern ihrem Sohn zum nächsten Geburtstag einen guten Kopfhörer
schenkten; denn der könnte die Möglichkeit schaffen, den Ansprüchen
beider Seiten gerecht zu werden. Das kann man dann auch gerne deutlich
machen: „Wir akzeptieren deinen Wunsch nach der lauten Musik, deshalb
der Kopfhörer“. Aber weiter.
Die Musik war ja nur der Anlass für die Mutter, nach oben zu gehen. Der
Sohn inmitten seines Chaos´ so untätig auf dem Bett, obwohl in der nächsten
Woche drei Tests geschrieben werden! Das bringt sie dann völlig aus der
Fassung. Ich kann Ihre Gefühle gut nachvollziehen, sie sind ja auch
berechtigt, nur führen sie zu nichts. Was kann sie
tun? Zu einer partnerschaftlichen Erziehung gehört es, seinem Kind all
die Rechte und Pflichten zu überlassen, die es überschauen und
verantworten kann. Das heißt: Für die Ordnung in seinem Zimmer ist Sven
selbst verantwortlich. Wenn er sich in seinem Chaos wohl fühlt, darf er
es bis zu einem gewissen Grad auch haben. Da aber ein solches Zimmer nicht
geputzt werden kann, bestünde auf Dauer die Gefahr, dass sich Ungeziefer
einnistet, Hausstaubmilbenallergien schlimmer werden und Svens Gesundheit
darunter leidet. Man könnte also den Kompromiss finden, dass Sven einmal
in der Woche aufräumt und selber putzt. Dann werden die Eltern an den
anderen Tagen nichts mehr zu dem Chaos sagen. Sie haben
allerdings die Möglichkeit zu erklären, dass sie eine solche
Rumpelkammer nicht betreten mögen. Das heißt zum Beispiel: Sven möge
selbst dafür sorgen, dass er morgens aufsteht; denn es wird keiner über
seine Sachen hinwegsteigen, um ihn wachzurütteln. Auch seine saubere
Kleidung wird die Mutter fortan nicht mehr ins Zimmer legen, weil sie
keine Hemden doppelt bügeln möchte (vielleicht bügelt sie die verknüllten
einfach nicht mehr, wenn sie es ertragen kann, dass Sven dann mit
verknitterten Sachen losgeht). Ja, und wenn keine schmutzige Kleidung in
der Waschküche liegt ( oder welchen Platz es auch immer dafür in der
Familie gibt), dann wird auch keine gewaschen. Wenn Sven am Wochenende
weggehen möchte und nach verzweifeltem Suchen seine Lieblingsjeans
schmutzig unter seinen Zeitschriftenstapeln hervorkramt, wird er sich beim
nächsten Mal vielleicht überlegen, seine Sachen früher in die Wäsche
zu geben. Was besonders
wir Mütter lernen müssen, ist, uns für diese Dinge nicht mehr
verantwortlich zu fühlen. Es ist allein Svens Sache, ob er seine Kleidung
parat hat und wie er dann letztlich angezogen ist. Haben wir bislang uns
anders verhalten, wird es für Eltern wie Kinder ein Lernprozess sein.
Selbst wenn wir es unserem Kind mitteilen, dass es nun für solche Dinge
selbst zuständig ist, wird es das nicht ernst nehmen. Muttern hat ja
schließlich immer noch im letzten Moment die Kohlen aus dem Feuer geholt.
Wichtig ist mir, dass wir das Überlassen der Verantwortung nicht als
Strafe hinstellen (in dem Sinne: Weil du dein Zimmer nicht aufräumst,
mach doch deinen Kram alleine!), sondern dem Jugendlichen deutlich machen,
dass wir ihm zutrauen,
bestimmte Dinge selbst zu übernehmen. Bei all
diesen Auseinandersetzungen mit unseren Kindern gilt: Nicht zuviel reden,
lieber handeln! Adler hat den Begriff der „Muttertaubheit“ geprägt,
damit meint er, dass unsere Kinder einfach abschalten, wenn wir ihnen
immer wieder die gleichen Standpauken halten, und wir nur die Beziehung
weiter belasten, anstatt Situationen zu verändern. Erst wenn der
Jugendliche spürt, dass sein
Verhalten Folgen hat, wird er sich zur Veränderung entschließen. Manchmal kann man dem auch ein
wenig nachhelfen, indem Sie die wöchentliche Taschengeldauszahlung von
einem aufgeräumten Zimmer abhängig machen.
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