Individualpsychologische Beratungspraxis (DGIP)

Renate Freund

 

 

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Kinder und Fernsehen

Fernsehen ist nach Spielen, Sporttreiben und Fahrradfahren eine der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen. Jedes sechste Kind im Alter zwischen 6 und 13 Jahren besitzt einen eigenen Fernseher, bei Kindern zwischen 12 und 13 Jahren ist es bereits jedes dritte Kind. Der Fernsehkonsum von Kindern hat in den letzten zehn Jahren deutlich zugenommen: 61% der Kinder (3 bis 13 Jahre) schalten täglich mindestens einmal den Fernseher ein. Die tägliche Sehdauer der Sechs- bis Dreizehnjährigen hat sich insgesamt um 11% erhöht, wobei die höchste Steigerung bei den Sechs- bis Neunjährigen festzustellen ist. Dabei sitzen Kinder in den neuen Ländern im Vergleich häufiger und im Schnitt zwanzig Minuten länger vor dem Bildschirm. 76% von ihnen bevorzugen Trickfilme (Cartoons und Actionserien), während sich nur 8% für die Nachrichten interessieren und 1% sich politische Sendungen anschaut. Das macht deutlich, dass Fernsehen fast nicht dazu genutzt wird, um etwas von der Welt zu erfahren, sondern als Erlebnismedium.

Anders als beim Hören von Geschichten oder beim Lesen werden beim Fernsehen mehrere Sinne angesprochen. Zu den Bildern und den Dialogen kommen Geräusche und Musik hinzu, die gerade bei jüngeren Kindern oft eine stärkere Wirkung haben als das Gesehene. Beobachten Sie einmal Ihre Kinder während einer spannenden Fernsehsendung! Wahrscheinlich werden Sie bemerken, dass Sohn oder Tochter sich nicht etwa die Augen zuhält, wenn es grauslich wird, sondern die Ohren.

Nervenkitzel und Erlebnishunger sind bei den Kindern besonders ausgeprägt, die sonst wenig Anregungen und Angebote haben, ihre Freizeit selbst erfüllt und spannend zu gestalten. Die Möglichkeiten, "Abenteuer" zu bestehen, sind in unserer Gesellschaft für Kinder ja wirklich enorm eingeschränkt. Wenn ich daran denke, wie wir in meiner Kinderzeit Geländespiele im Wald gemacht, einen alten Bunker erforscht, Kalle Blomquists Krieg zwischen der Weißen und der Roten Rose nachgespielt oder Nachbars Äpfel geklaut haben - wo haben die Kinder denn heute noch soviel Freiraum? Aber gerade da müssen wir erfinderisch werden. Vielleicht ist der Mallorca-Urlaub oder die Reise in die USA für unsere Kinder gar nicht so spannend wie eine Fahrradtour mit Zelt durch Schleswig-Holstein! Schon eine „Nachtwanderung“ (sie darf getrost nach Einbruch der Dunkelheit beginnen) mit den Kindern oder ein Versteckspielen im Dunkeln kann aufregender sein als so manche immer wiederkehrende Fernsehszene.

Es ist aber nicht nur der Nervenkitzel, der unsere Kinder vor den Bildschirm lockt. Hier wird auch ein Grundbedürfnis der Kinder abgedeckt nach Leitfiguren, nach Helden, denen man nacheifern und die man sich zum Vorbild nehmen kann. Wenn Sie heute Kinder nach ihren Vorbildern fragen, sind das nicht mehr Albert Schweitzer, Martin Luther King oder Mutter Theresa, sondern Arnold Schwarzenegger, Bud Spencer oder Madonna, bei den Kleineren vielleicht die Biene Maja, Pumuckl , Samson oder Käpt´n Blaubär. In ihre Fernsehhelden können die Kinder alles hineinlegen, was sie gerne hätten oder wie sie gerne wären: mutig, listig, stark, geschickt, erfolgreich... Alle ihre Träume, Wünsche und Phantasien werden in ihren Idolen lebendig, und im Miterleben der Szene empfindet sich das Kind als so toll wie es schon immer sein wollte. An Figuren wie Homer Simpson oder Samson, Erni und Bert aus der Sesamstraße kann es auch erleben, dass man auch als Tolpatsch oder Begriffsstutziger liebenswert ist und einem Schwächen nachgesehen werden.

Ältere Kinder sehen in den Fernsehidolen Vorbilder dafür, wie sie als Erwachsene im Blick auf ihre Geschlechterrolle sein möchten. Die Krimihelden (von den 12- und 13jährigen dreimal sooft als Vorbild genannt wie Lehrer oder Väter) verkörpern für viele Jugendliche den idealen Mann: mutig, aggressiv, voller Durchsetzungsvermögen, stark und siegreich. So wären sie auch gerne. Bei den Mädchen sind häufig Popstars die Leitfiguren, denen es nachzueifern gilt.

Wie aber könnte man nun angemessen mit dem Fernsehen umgehen?

Beim ersten oder Einzelkind ist es relativ einfach mit dem Fernsehen. Bis zum Alter von vier Jahren würde ich mein Kind überhaupt nicht gucken lassen, und danach auch nur wenige, ausgewählte Sendungen wie die Sesamstraße, die Sendung mit der Maus oder das Sandmännchen. Wichtig sind kurze, einfache Szenen, die einen Bezug zur Erlebniswelt des Kindes haben, mit wenigen Personen. Wiederholungen - auch wenn wir denken, diese oder jene Folge müsste das Kind nun allmählich auswendig können - sind sinnvoll und wichtig, weil das Kind nur das aufnehmen kann, was seinem Erfahrungshorizont entspricht. So wird es aus jeder Sendung für sich etwas anderes aufnehmen und wird dadurch nicht überfordert, dass viel Vertrautes vorkommt. Denken Sie einmal, wie oft ein Kind dasselbe Buch vorgelesen, dieselbe Geschichte erzählt haben möchte!

Wichtig ist, dass wir kleine Kinder nicht allein fernsehen lassen. Sollte einmal Angst aufkommen, was auch bei den oben genannten Sendungen durchaus der Fall sein kann, ist es gut, Mutter oder Vater in der Nähe zu haben. Mit ihnen als Stütze eine angstbesetzte Szene zu durchleben und ihren positiven Ausgang zu erfahren, hilft Kindern, mutiger zu werden.

Kinder im 5. und 6. Lebensjahr leben noch in einer Phantasiewelt, in der sie nicht Realität und Trick auseinanderhalten können. Monster, Gespenster, Vampire u.ä. sind für sie reale Wesen, von denen sie durchaus meinen, dass sie irgendwann auch in ihrem Kinderzimmer erscheinen können. Das sollte uns bei der Auswahl von Fernsehsendungen bewusst sein. Ihnen können wir aber durchaus Sendungen anbieten mit Erlebnissen aus ihrer Erfahrungswelt oder mit einfachen, klaren Strukturen wie z. B. Pusteblume, Pumukl, Pan Tau oder Die Biene Maja. Wenn Sie ein Video haben, kann man Geschichten in Teilen anschauen und Szenen wiederholen, was Kindern nicht nur zum besseren Verständnis, sondern auch zum Angstabbau verhilft. Auch in diesem Alter reicht eine Sendung pro Tag von maximal 30 Minuten!

Grundschulkinder dürfen gelegentlich auch längere Filme sehen. Sie stehen nicht mehr so in der Gefahr, dass bestimmte Szenen nachhaltige Ängste auslösen, weil sie inzwischen Schutzmechanismen dagegen entwickelt haben, sich gefühlsmäßig überfordern zu lassen. Wichtig ist, dass Eltern und Kinder gemeinsam die Programme aussuchen und vorher festlegen. "Darf ich fernsehen?" ist nie eine angemessene Frage; denn sie zeigt, dass das Kind nur einen Zeitvertreib sucht. Wenn wir zulassen, dass das Fernsehen zum Lückenfüller wird und nur Langweile überbrücken soll, verlernt das Kind allmählich, eigene kreative Spielideen zu entwickeln und wird zum Konsumenten.

Je älter die Kinder sind, desto mehr sollten wir sie an den Entscheidungen beteiligen, welche Sendungen sie anschauen; denn nur so können sie verantwortliches Umgehen mit dem Medium Fernsehen lernen. Uns sollte bei der Auswahl deutlich sein, dass den Kindern über das Fernsehen eine bestimmte Weltsicht vermittelt wird, ein Muster z.B. für Konfliktlösungen, für den Umgang von Männern mit Frauen und umgekehrt, für Wertigkeiten und Moralvorstellungen. Sollten diese konträr zu unseren Einstellungen sein, ist es wichtig, mit den Kindern darüber zu sprechen oder auch bestimmte Filme nicht zu erlauben. Scheuen Sie sich nicht, deutlich "nein" zu sagen, wenn Sie einen Beitrag als zu grausam, dem Alter nicht entsprechend oder mit einer inakzeptablen Wertigkeit einschätzen. Ein Recht auf eine bestimmte Zeit Fernsehen pro Tag hat kein Kind, wohl aber ein Recht auf eine Begründung Ihrer Entscheidung ( in der wir auch ehrlich zugeben, dass wir nur vermuten, dass der Film ungeeignet ist!). Auf der anderen Seite sollten wir das Fernsehen aber auch nicht als „Hilfserzieher“ missbrauchen. Damit meine ich, dass Fernsehverbot keine sinnvolle Strafe ist, wenn das Vergehen in keinem Zusammenhang mit dem Fernsehen steht. Ein billiger Babysitter ist es ebenfalls nicht, können doch die Folgen von ungehindertem Fernsehkonsum fatal sein.