Individualpsychologische Beratungspraxis (DGIP)

Renate Freund

 

 

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Mit Mut geht´s gut

Kinder mit einem gesunden Selbstvertrauen haben bessere Chancen für eine positive Entwicklung. Sie wagen sich mutig an neue Aufgaben, finden schneller einen Platz in einer fremden Gruppe und lassen sich nicht so leicht entmutigen, wenn ihnen etwas nicht sofort gelingt. Doch wie schaffen wir es, das Selbstwertgefühl in ihnen zu entwickeln und zu fördern? Lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken mit Hilfe des folgenden Beispiels:

Frank (sechs Jahre) und sein Zwillingsbruder Kai wollen sich Boote basteln, um sie anschließend im nahegelegenen Weiher schwimmen zu lassen. Bei Frank, der geschickt eine Styroporplatte zusägt, Stöckchen schneidet, Segel klebt usw. entsteht schon nach kurzer Zeit ein tolles Boot. Kai dagegen hat noch gar nicht angefangen. Da kommt der Vater dazu und wendet sich an Frank: "Du bist wirklich super, echt Spitze! So ein tolles Boot! Ich finde dich ganz große Klasse, weil du immer so prima Ideen hast und so toll basteln kannst!!" Dann dreht er sich zu Kai um: "Na, Kai, unser kleiner Träumer! Du brauchst ja nicht gleich so ein tolles Boot zu machen wie dein Bruder, aber fang' doch wenigstens mal an!"

Was sich in Kai abspielt, ist nicht schwer zu erraten: Zum Bootbauen hat er keine Lust mehr. Man könnte auch sagen: keinen Mut; denn er weiß schon von vornherein, dass er es seinem Bruder nicht gleichtun kann. Das hat der Vater deutlich gesagt, und seine Worte, die eigentlich ermutigend sein sollten, hatten genau gegenteilige Wirkung. Kai hört: Ich bin ein Träumer (und das ist ja wohl nichts Gutes), Frank kann es besser, und ungeduldig ist der Vater auch noch mit mir. Ich kann es ihm nicht recht machen. Und zieht für sich daraus den Schluss: Also strenge ich mich gar nicht erst an. Es lohnt sich ja doch nicht.

Wie geht es daneben dem geschickteren Bruder? Auf den ersten Blick könnte man meinen, das Lob des Vaters sei für ihn eine Ermutigung und stärke sein Selbstwertgefühl. Aber sehen bzw. hören wir genau hin! Der Vater hat gesagt: "Ich finde dich super, weil du so tolle Ideen hast und so gut basteln kannst!" Das heißt doch: Frank wird von seinem Vater aufgrund einer Leistung gemocht. Was aber ist, wenn Frank einmal nichts leistet, Fehler macht? Dann muss er fürchten, die Zuneigung des Vaters zu verlieren! Was vom Vater hier positiv gemeint war und vielleicht tatsächlich das Selbstwertgefühl von Frank aufbauen sollte, erzeugt viel eher Angst vor Versagen, Irrtümern und Fehlern.

Wir kennen inzwischen schon einige Verhaltensweisen, die angemessener gewesen wären: Vielleicht hätte der Vater vorschlagen können, mit Kai zusammen ein Boot zu bauen, aber mit der Formulierung "Wollen wir es zusammen machen?" und nicht mit "Ich helfe dir!"; denn sonst hätte Kai gleich geschlossen: er traut es mir allein nicht zu, also kann ich nichts, bin klein ungeschickt und dumm. Hätten Vater und Sohn zusammen ein Boot gebaut, hätte Kai die Chance gehabt, am Ende ebenfalls ein gutes Bauwerk vorweisen zu können. Er hätte verschieden Fertigkeiten lernen und üben können, die ihm bei späteren Arbeiten zugute gekommen wären. Außerdem hätte er in dem gemeinsamen Tun mit seinem Vater spüren können: Ich bin ihm wichtig, ich gehöre dazu. Er schließt mich ein, obwohl ich nicht so gut basteln kann wie Frank.

Auf die gönnerhafte Formulierung „Unser kleiner Träumer!" brauche ich wohl nicht mehr näher einzugehen...

Und Frank muss deutlich werden: Mein Vater mag mich unabhängig von meiner Leistung, nur weil ich sein Sohn Frank bin. Hier sollte uns Alfred Adlers Forderung nach Unterscheidung von Tat und Tätern einfallen, d. h. nicht das Kind ist toll, gut, großartig, sondern seine Leistung.( ebenso: Nicht das Kind ist böse, schrecklich hassenswert, sonder das, was es getan hat) Der Vater in unserem Beispiel hätte also etwa sagen sollen: "Toll, Frank, dein Boot sieht ja gut aus! Da hast du prima Ideen gehabt und sie dann auch geschickt verwirklicht! Ich freu’ mich, wie gut du das kannst!"

Grundsätzlich sollte unter Geschwistern eine vergleichende Wertung vermieden werden. Jedes Kind soll seine Aufgaben entsprechend seinen Fähigkeiten lösen. Das Ergebnis wird höchstens mit denen aus früheren Zeiten verglichen, die dasselbe Kind auch gemacht hat, aber nicht mit der oder dem anderen, etwa mit den Worten: "Weißt du noch, wie du früher immer Schwierigkeiten hattest, Menschen zu malen, deine Schuhe zuzubinden, aus der Tasse zu trinken... Heute kann man sich das gar nicht mehr vorstellen, und pass auf, wenn du das... nur ein paarmal probierst, dann hast du damit auch keine Schwierigkeiten mehr!" Und im Blick auf die Geschwister: "Als XY so alt war, hat er das genauso gemacht."

Wichtig ist es auch, den Blick auf das zu lenken, was das Kind schon kann und gut gemacht oder gerade dazugelernt hat. Das ist weitaus ermutigender als Kritik oder das Hinstellen anderer als gutem Beispiel. Jeder hat dann die Möglichkeit, für sich zu erkennen: Das kann ich ja noch lernen, was die anderen können. Ich werde deshalb nicht weniger gemocht. Und diejenigen, die mehr können (z.B. weil sie älter sind), brauchen keine Angst vor Versagen oder Konkurrenz zu entwickeln, wenn sie spüren, dass die Zuwendung nicht von ihrer Leistung abhängt.